Sonntag, 10. November 1918

   

Anzeige im General-Anzeiger vom 10. November 1918Die Lage in Bonn. Die Menschenansammlungen, die sich Freitag nachmittag vor dem Bahnhof gebildet hatten, zerstreuten sich erst am späten Abend. Vier Soldaten gingen zum Gefängnis und erwirkten die Freilassung sämtlicher Gefangenen. Zu bedauerlichen Ausschreitungen kam es am Güterbahnhof, wo ein militärisches Ausrüstungslager geplündert wurde. Auch in den Kasernen sollen die Kleiderkammern geleert worden sein. Während der ganzen Nacht fielen in den verschiedensten Stadtteilen Schüsse, doch sind Verwundungen nicht bekannt geworden. […]
   Die Straßen der Stadt waren gestern von Soldaten sehr belebt. Fast alle trugen keine Kokarde mehr oder nur noch eine Kokarde, einzelne hatten auf der Brust rote Schleifen, Matrosen auch rote Bänder an den Mützen, Kraftwagen mit Soldaten, vereinzelt auch Zivilpersonen durcheilten die Straßen; auf allen diesen Kraftwagen wurde eine rote Fahne mitgeführt. Militärische Streifwachen mit umgehängtem Gewehr, den Lauf nach unten, gehen durch die Straßen und versehen den Sicherheitsdienst.

Universität. Um falschen Gerüchten entgegenzutreten, hat der Rektor einen Anschlag anbringen lassen, in dem es heißt, daß die Universität offen bleibt und der Unterricht ungestört weiter geht.

Neues Operettentheater. Am heutigen Sonntag finden zwei Aufführungen der Operette „Schwarzwaldmädel“ statt. Die Nachmittagsvorstellung beginnt 2½ Uhr, die Abendvorstellung beginnt um 6 Uhr. Durch diesen früheren Anfang ist die Abendvorstellung kurz nach 8 Uhr beendet. Diese Aenderung des früheren Anfangs ist infolge der neuen Verordnung notwendig geworden.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

  

Anzeige im General-Anzeiger vom 10. November 1918Sicherung von Leben und Eigentum. Angesichts der politischen Umwälzung, die sich gegenwärtig im ganzen Reich vollzieht, und die auch in Bonn am heutigen Samstag zur Bildung eines Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrates geführt hat, sei unter Hinweis auf die im Inseratenteil zur Veröffentlichung gelangenden Anordnungen der neuen Sicherheitskommission unserer Stadt audrücklich darauf hingewiesen, daß aus allen Meldungen, die uns über die Neuordnungen in den einzelnen Städten des Reiches vorliegen, immer wieder hervorgeht, daß man ausdrücklich gewillt ist, Leben und Eigentum der Bürger in der entschiedensten Weise zu schützen. Es sind in den ersten Tagen der Umwälzung wie anderwärts so auch in Bonn Plünderungen der Kleiderkammern der Kasernen, der Militärdepots und einzelner Ladengeschäfte erfolgt. Das wird jedoch zweifellos nur eine Ausnahme bleiben, denn es heißt in den Anordnungen der neuen Sicherheitskommission ausdrücklich, daß Plünderer sofort erschossen werden.

Zum Schulanfang. Allenthalben wird es mit Freuden begrüßt, daß mit Montag der Unterricht in allen Schulen wieder aufgenommen wird. Die Kinder werden von allem Straßenunfug bewahrt und kommen wieder in geregelte Tätigkeit. Auf verschiedene Anfragen hin sei wiederholt, daß auch für die Kinder der Münsterschule der Unterricht wieder beginnt. Die Verteilung der Unterrichtsstunden auf die schon hergestellten Klassenräume wird ihnen Montag 8 Uhr auf den beiden Schulhöfen durch den Rektor mitgeteilt.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

   

In Erwartung der Dinge, die kommen sollten, war gestern unsere Stadt. Die Nachricht der Kölner Bewegung war gestern schon im Laufe des Vormittags nach Bonn gekommen, natürlich wie immer in übertriebener Darstellung. Man erwartete allgemein, daß die Bewegung auch auf unsere Stadt übergreifen werde. Am Nachmittag sammelten sich am Bahnhof der Rheinuferbahn eine große Menschenmenge an, welche eine Abordnung des Kölner oder Kieler Soldatenrates erwartete. Es war wohl nur Neugierde, welche die meisten trieb. Die ersten Neugierigen wurden durch andere abgelöst und so ging es bis zum Abend hinein. Durch die Stadt verbreiteten sich die wildesten Gerüchte, die in der Tat geeignet waren, einen Teil unserer Geschäftsleute mit bangen Befürchtungen zu erfüllen. Viele im Innern der Stadt räumten ihre Schaufenster aus und ließen die Rolladen herunter; andere schlossen ihre Betriebe. Soldaten belebten vielfach das Straßenbild. Viele trafen von Köln ein, wo ihnen Seitengewehre und Achselstücke abgenommen worden waren. Gestern abend zog eine große Gruppe zu den hiesigen Gefängnissen, aus denen man dann die Gefangenen entließ. Zu Unruhen ist es bisher nirgendwo in Bonn gekommen.
   Wie es heißt, soll eine Abordnung des Kölner Soldatenrates mit dem hiesigen Garnison-Kommando verhandelt haben. Darüber ist uns bis zur Stunde aber nichts näheres bekannt geworden.
   Im Sitzungssaale des Rathauses fand heute früh eine Sitzung statt, in der ein Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat mit mehreren Ausschüssen gebildet wurde. In der Stadt wiederholte sich zum Teil das gestrige Bild. Auch hier nahmen Soldaten mit roten Abzeichen den ankommenden oder abfahrenden Soldaten Waffen, Achselstücke und Kokarde ab. Die Straßen zeigten reges Leben. Es ist auch heute im Innern der Stadt nicht zu Unruhen gekommen. Wie es heißt, sollen aus dem Proviantdepot und den Militärmagazinen in der Nacht verschiedene Sachen herausgeholt worden sein. Für die Bevölkerung liegt kein Anlaß vor, wegen ihres Besitzes in Besorgnis zu sein. Das Vorgehen in anderen Städten hat dies gezeigt.
   Vor einer großen Versammlung, die sich heute vormittag auf dem Markte gebildet hatte, sprachen Mitglieder des Ausschusses. Sie forderten die Bürger zu Ruhe und Ordnung auf und teilten u. a. mit, daß sich ohne Ausweis abends nach 9 Uhr niemand auf der Straße befinden dürfe. [...]

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)