Samstag, 9. November 1918

 

Anzeige im General-Anzeiger vom 9. November 1918Aufregung auch in Bonn. Gestern nachmittag bildeten sich im Bahnhofsgebäude sowie vor dem Bahnhof und der Rheinuferbahn größere Ansammlungen, die auf irgend etwas warteten, angeblich auf die Führer der Arbeiter und Soldaten aus Köln oder auch auf die Marinesoldaten aus Kiel. Durch Neugierige, die aus der ganzen Stadt herbeiströmten, vergrößerte sich die Ansammlung gegen Abend, doch da es weder etwas zu sehen noch zu hören gab, ging man ebenso ruhig, wie man gekommen war, wieder heim. Zu Ausschreitungen ist es nicht gekommen. Die Züge und die Straßenbahn verkehrten ohne Störung.
   Vorgestern abend war die Rheinbrücke abgesperrt worden auf die Nachricht hin, daß sich in Siegburg die Militärgefangenen befreit hätten. Man befürchtete, daß sie nach Bonn ziehen würden, das ist jedoch nicht geschehen.

Deutsche Vaterlandspartei. Die überaus zahlreich besuchte Mitgliederversammlung der Deutschen Vaterlandspartei am 7. November im großen Saal der Lese war eine Kundgebung der Treue zu Kaiser und Reich. Der leitende Gedanke „auf Kaiser und Reich beruht nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart und Zukunft Deutschlands“, wurde in ernsten, tief zu Herzen gehenden Worten von den verschiedenen Rednern mit außerordentlichem Nachdruck und männlichem Freimut betont. Ohne Kaiser kein Reich, ohne Reich kein Deutschland mehr. Und daher die Losung: Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu.

Im Stadttheater ist gestern abend die angesetzte Vorstellung ausgefallen, wohl im Zusammenhange mit den Unruhen in Köln.

Der Flottenverein Jungdeutschland teilt uns mit, daß die geplante vaterländische Filmvorstellung am morgigen Sonntag wegen der Zeitverhältnisse und der Verkehrsstörungen ausfällt. Auf Wunsch wird den Abonnenten der Betrag für diese Vorstellung zurückerstattet.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

  

Anzeige im General-Anzeiger vom 9. November 1918Ein Arbeiter- und Soldatenrat in Bonn. Heute Vormittag fanden in den Frühstunden Verhandlungen auf dem Rathaus zwischen Vertretern der Soldaten und der Stadtverwaltung über Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates statt. Gestern abend wurden hier die Gefängnisse durch vier Soldaten geöffnet und das Straßenbild gewann durch das Passieren von entlassenen Gefangenen mit roten Rosetten an der Jacke ein eigenartiges Bild. Ansammlungen, die gestern nachmittag und gestern abend am Bahnhof erfolgten, verliefen ohne Ruhestörung. Inwieweit die Gerüchte zutreffend sind, daß die militärischen Kleiderkammern und das Proviantlager hier geplündert wurden, konnten wir noch nicht feststellen.

Abgesagt. Die für morgen in Bonn angesetzte Zentrumsversammlung kann nicht stattfinden, da die beiden Redner wegen der Verkehrsstörungen Berlin nicht verlassen können.

Einquartierung in Bonn. Von der Stadtverwaltung wird uns geschrieben: In der Zeitung häufen sich die Anzeigen, welche die Uebernahme von Einquartierung nachsuchen. Wenn auch nicht verkannt werden kann, daß in manchen Familien wegen Alter und Krankheit der Mitglieder nicht unerhebliche Schwierigkeiten für einen solchen Fall entstehen, so möge die Bürgerschaft doch daran erinnert werden, daß es ihre Pflicht ist, den aus dem Felde zurückkehrenden Kriegern, welche lange Jahre hindurch die Heimat geschützt haben, in dankbarer Anerkennung durchweg eine freundliche Aufnahme zu bieten.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

  

„Arbeiter- und Soldatenräte“ werden jetzt auch bei uns allenthalben errichtet. Im allgemeinen ist, von einigen bedauerlichen Ausschreitungen des Volks abgesehen, die aber bald unterdrückt wurde, der Uebergang der Nacht noch ziemlich ruhig und glimpflich vor sich gegangen. Es fragt sich nur, ob sie die Ruhe überall aufrecht erhalten können. Alles kommt jetzt auf die Ruhe und Selbstzucht der neuen Ordnungsorgane an. Wird es ihnen gelingen, auch den Ausschreitungen der untersten Volksklassen entgegenzutreten? Das läßt sich bisher nicht überall behaupten. In Köln haben ja Zuchthausgefangene und Dirnen losgelassen, die die Bürgerschaft lebhaft beunruhigen. Bereits ist es auch zu Ausschreitungen gekommen. Die Zuchthäusler sind in Geschäfte eingedrungen und haben sich neu eingekleidet; die Dirnen treiben sich schamlos auf den Straßen umher. Der Arbeiter- und Soldatenrat hat die Aufrechterhaltung der Ordnung übernommen. Nahezu die gesamte Kölner Garnison ist zu den Arbeiter- und Soldatenrat übergegangen. Gestern abend spät sind Führer des Arbeiter- und Soldatenrates aus Cöln nach hier in Bonn eingetroffen, die auch hier sofort ihre Tätigkeit begannen. Der Kölner Arbeiter- und Soldatenrat in Köln formulierte seine Forderungen in zwei großen Versammlungen im Gürzenich und in der Kölner Bürgergesellschaft: 1. sofortiger Friede; 2. Vereidigung des Heeres auf die Verfassung; 3. Freilassung sämtlicher politischer Gefangener; 4. Abschaffung aller Dynastien im deutschen Reiche; 5. Einstellungen aller militärischen Einberufungen; 6. Annullierung der Kriegsanleihen und Schonung der von den kleinen Leuten gezahlten Beträge; 7. Abschaffung des militärischen Grußes. Diese Forderungen dürften auch anderswo aufgestellt worden sein.
   Nach den bisher vorliegenden Nachrichten beschränkt sich die Bewegung vorläufig noch auf eine Anzahl größerer und mittlerer Städte; in München ist nach einer gewaltige Versammlung auf den Theresienwiesen die Republik ausgerufen worden. Aus Berlin heißt es noch immer: es sei alles ruhig. Der Oberkommandierende in der Marken hat die Bildung der Soldatenräte untersagt. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Vorgehen Erfolg haben wird. Davon dürfte es auch abhängen, ob die Bewegung rein örtlicher Natur bleiben oder von tiefeingreifender Bedeutung wird. Inzwischen ist an der Front eine Waffenruhe von zweiundsiebzig Stunden zugestanden worden zur Annahme der Fochschen Bedingungen.
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Ueber die Sitzung, die heute früh im Rathause stattfand, wird uns von zuständiger Stelle mitgeteilt:
   Anwesend waren unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters Spiritus der Bahnhofskommandant, der Vertreter des Cölner Soldatenrates Mandel, der Bürgerausschuß, Vertreter des Sozialdemokratischen Vereins und der Gewerkschaften. Der Vertreter des Soldatenrates gab zunächst einen Bericht über die Lage in Cöln und die hier in der Nacht vom 8. zum 9. entstandene Lage. Er schlug vor, auch hier in Bonn mit größter Beschleunigung, namentlich mit Rücksicht auf den Sicherheitsdienst, einen ausführenden Arbeiter- und Soldatenrat zu bilden.
   Nach längerer Aussprache einigte man sich auf folgendes:
1. Es wird ein Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat gebildet.
2. Dieser Rat besteht aus drei Vorsitzenden Kuhnert, Dr. Krantz, Schmitz und drei Schriftführern Kalt, Kollaß, Vins.
3. Es werden ein Sicherheits-Ausschuß, ein Transport-Ausschuß, ein Verpflegungs-Ausschuß, ein Presse-Ausschuß, ein Gesundheits-Ausschuß gebildet.
4. Diese Ausschüsse bestehen aus folgenden Mitgliedern: a) Sicherheits-Ausschuß: Bottler, Heinen, Vorsitzende, Sames, Bloemers, Wittkugel, Wellmann, Beisitzer; b) Transport-Ausschuß; Dr. Lühl, Hauptmann Geyk, Romold, Schoppe, Beyer, Schmok, Butscheidt, Beisitzer; c) Verpflegungs-Ausschuß; Piehl, Kuhnert als Vorsitzende, Gentrup, Kalt, Niedermeyer, Roßberg, Wellmann als Beisitzer; d) Presse-Ausschuß; Piehl, Dr. Krantz als Vorsitzende, Butscheidt, Kollaß, Sames, Bins als Beisitzer; e) Gesundheits-Ausschuß; von Gartzen, Kalt, Vorsitzende, Niedermeyer, Schultze, Prof. F. A. Schmidt, Olbertz, Wellmann, Heinrich Cisak, Beisitzer.
5. Oberbürgermeister Spiritus gab die Erklärung ab, daß die Stadtverwaltung dem Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat jederzeit mit Rat und Tat zur Seite steht.
6. Der Sicherheits-Ausschuß soll schleunigst eine Bekanntmachung erlassen, durch die strenge Bestrafung bei Ordnungswidrigkeiten, namentlich bei Plünderung und Raub, angedroht wird und nach der es den Bürgern verboten ist, nach 9 Uhr abends auf der Straße zu sein.
7. Der Oberbürgermeister stellt dem Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat als Geschäftsräume den Stadtverordneten-Sitzungssaal und das Zimmer 13 zur Verfügung.
8. Der Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat soll neben einem von ihm zu beschaffenden Stempel bis auf weiteres den Stadtstempel führen.
9. Es soll eine Auskunftsstelle errichtet werden, in der über alle Maßnahmen, namentlich zureisenden Truppenteilen usw., Rat erteilt werden kann.

(Volksmund, Rubrik „Bonner Angelegenheiten“)