Dienstag, 1. Oktober 1918

  

Anzeige im General-Anzeiger vom 1. Oktober 1918Opfertage für die Kolonialkriegerspende. Noch ist bei weitem nicht genügend für die schwer Geschädigten in den Kolonien zusammengekommen, für die, die für Deutschlands Ehre einen aussichtslosen Kampf bis zum bittern Ende kämpften, einen Heldenkampf ohnegleichen in der Weltgeschichte. Insbesondere war die frühere Haussammlung nicht ausreichend. So haben sich die Vaterländischen Vereinigungen u. a. die Deutsche Kolonial-Gesellschaft, Abteilung Bonn-Godesberg, und der Frauenbund der Deutschen Kolonial-Gesellschaft, Abteilung Bonn, entschlossen, eine Straßensammlung abzuhalten. Sie findet Samstag, den 5. Oktober, nachmittags von 3 Uhr an bis zur Dunkelheit, und Sonntag, den 6. Oktober, von morgens 8 Uhr mit Mittagspause bis zum Eintritt der Dunkelheit statt. Bonner Töchter rechnen es sich zur Ehre an, Abzeichen, Ablösungszeichen und Postkarten zu verkaufen. Die Lichtspieltheater bringen zum 28. September bis 6. Oktober einen kolonialen Trickfilm. In der Lese spricht Samstag abend Ihre Exzellenz Frau Schnee über „Deutsch-Ostafrika-Leben während des Krieges. Ihr Vortrag, dessen Einnahmen für die Kolonialkriegerspende bestimmt sind, wird fesselnd sein. Sonntag sind Militärkonzerte. Bei den Bezirkspfarrern liegen während der Sammeltage auch Listen zum Einzeichnen auf die Kolonialkriegerspende auf. Der Bonner Opfersinn zeige sich von vollem Verständnis für die Wichtigkeit der Veranstaltungen. Wir wollen uns nimmer die Kolonien rauben lassen und nimmer vergessen, wie deutsches Blut und deutscher Schweiß sie düngten.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

   

Ueber das Gebot der Stunde sprach gestern abend, von der Deutschen Vaterlandspartei eingeladen, Herr Landtagsabgeordneter Dr. Bacmeister im großen Saal der Lesegesellschaft. […]
    Was die Ereignisse im Westen betrifft, so meinte der Redner, daß unser letzter Rückzug auf die Siegfriedlinie noch einmal als eine der größten strategischen Taten der Weltgeschichte gefeiert werden würde, denn letzten Endes entspringt auch die gewaltige Offensive der Engländer, Franzosen und Amerikaner gerade jetzt der Erkenntnis, daß die Ernährungsschwierigkeiten des Vielverbandes [der Alliierten] eine uferlose Vermehrung der amerikanischen Truppenmassen nicht ertragen. Die Entente ist zu dieser Offensive gezwungen, und im Rahmen des Gesamtbildes legen wir den Feinden noch immer das Gesetz des Handelns auf. […]
    Was uns jetzt fehlt, ist nur eine führende Persönlichkeit, die an Stelle des bloßen Verteidigungsgedankens, den politischen Offensivgedanken in unser Volk hineinträgt, die den Gedanken der Tatkraft, des Optimismus und der Siegeszuversicht ausstrahlt. Wie aber auch die Wahl des neuen Kanzlers ausfallen mag, aus der nationalen Not wird uns sicher noch einmal die Entschlußkraft erwachsen, und die notwendige Siegeszuversicht für die uns auch die gegenwärtige Kriegslage Grund genug gibt. Das Gebot der Stunde aber ist, daß jeder, der sich der Bedeutung dieses Weltkrieges für unser Volk und der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung unseres Volkes klar bewußt ist, überall hinausgehen muß in das Land, um Siegeszuversicht zu predigen.
   Den gedankenreichen Vortrag eröffnete und beschloß Geheimrat Litzmann von der Bonner Universität mit kernigen Ansprachen.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

Kartoffelversorgung und Kriegküchenpreis. Für viele Leser bildete die jüngste Mitteilung des Lebensmittelamts eine Ueberraschung, aber keine erfreulicher Natur. Die Kartoffeln sollen 9,30 M. ab Lager und 12 M. im Kleinverkauf kosten. Die Preise in der Kriegsküche werden gleichzeitig erhöht, sodaß die „Bedürftigen“ die Wahl haben, wo sie mehr geschröpft werden wollen. Ist das der Erfolg unserer vielgepriesenen kriegswirtschaftlichen Organisation? Wie soll es eine kinderreiche Familie ermöglichen, 12 M. für den Zentner Kartoffeln zu zahlen? Die Kriegsküchenbenutzer, soweit sie keine hochgelohnten Arbeiter sind, denen es „auf einige Groschen“ mehr nicht ankommt, müssen gegen eine weitere Verteuerung der Lebenshaltung Widerspruch erheben. Wären kleine Pensionäre und Angestellte im Lebensmittelausschuß vertreten, dann kämen solche Beschlüsse wohl nicht zustande. Aber man läßt diese Stände nicht in den Ausschuß hinein. Diese haben nur zu zahlen und den Mund zu halten. In anderen Städten gestattet man gerade den Angestellten, an der Lebensmittelversorgung teilzunehmen. Die nicht dem Arbeiterstand angehörigen Verbrauchergruppen müssen sich tüchtig wehren, dann wird man vielleicht auf dem Rathaus einsehen, daß auch sie ein Recht haben, ein Wort mitzureden, wenn es gilt, die Preise festzusetzen, die gerade sie am härtesten treffen. Zum mindesten würde durch diese Vertreterschaft erreicht, daß es mehr nach Berlin dränge, wie diese Lebensmittelteuerung auf den unbemittelten Mittelstand wirkt, auf den man im Frieden weit mehr Rücksicht nimmt als heute. T.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Sprechsaal“)

  

Ernährungsfragen. In einer sozialdemokratischen Versammlung Samstag abend im Volkshause sprach Genossenschaftssekretär Schäfer aus Köln über unsere Ernährungswirtschaft. Der Versammlung wurde eine Eingabe über Mindestforderungen zur Ernährungs- und Unterstützungsfrage bekannt gegeben, die die Vorstände des hiesigen sozialdemokratischen Vereins und des Kartells der freien Gewerkschaften an die Stadtverwaltung richten wollen. Als Mindestforderungen für die Ernährung werden genannt Wochenmengen von vier Pfund gutem Brot, zehn Pfund Kartoffeln, ein Pfund Nährmittel, 70 Gramm Fett, während der fleischlosen Wochen eiweißhaltige Nahrungsmittel. Außerdem sollen die Schwer- und Rüstungsarbeiter Wochenzulagen von vier Pfund Kartoffeln, 1½ Pfund Brot, 1½ Pfund Nährmitteln und 40 Gr. Fett erhalten, die Schwerstarbeiter nach den bisherigen Grundsätzen weiterbeliefert werden. Ferner wird u. a. eine Aenderung der Klasseneinteilung vorgeschlagen, durch die die Klasse A erheblich erweitert würde, und eine Erhöhung der Kriegerfamilienunterstützung.
   (Ob dem Lebensmittelamt nunmehr auch von den übergeordneten Stellen die erforderlichen Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden, ist eine andere Frage. Die Schriftleitung.)

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)