Dienstag, 3. Dezember 1918

  

Die Verkaufsausstellung von Verwundeten-Arbeiten aus hiesigen Lazaretten wies bereits gestern, dem Tage der Eröffnung, einen überaus lebhaften Besuch auf. Große Kauflust herrschte in den Räumen der Buchhandlung Cohen (1. Stock) und erstreckte sich gleichmäßig auf die hübschen Gegenstände aller Art, die in langen Genesungswochen angefertigt wurden. Es ist staunenswert, was die gewiß doch ungeübten Männerfinger alles zustande brachten. […] Die Ausstellung soll nur drei Tage dauern; aus der regen Teilnahme zu schließen, wird der immerhin geringe Vorrat in dieser Zeit restlos verkauft sein. Die Bonner Frauen lassen sich eben auch diese Gelegenheit, das Angenehme und Nützliche mit der Wohltätigkeit zu verbinden, nicht entgehen, zumal es wohl das letztemal sein dürfte, unseren verwundeten Feldgrauen in Bonn zu zeigen, daß alles, was aus ihren Händen kam, uns wert erscheint, eine dauernde Erinnerung an ihr Heldentum und Mahnung an unsere nie abzutragende Dankesschuld in unserm durch sie vor der Zerstörung bewahrtem Heim zu sein.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

  

Nationale Würde und Besetzung. Wir erhalten fortgesetzt aus unserm Leserkreis Zuschriften, durch welche die Bürgerschaft darüber belehrt werden soll, wie sie sich während der Besetzung durch die Truppen der Alliierten zu verhalten habe. Es werden uns Ratschläge vorgetragen, die bis in die kleinsten Einzelheiten gehen. Auch wird in guter Absicht darauf hingewiesen, daß es in unseren öffentlichen Konzertlokalen, Kaffeehäusern usw. noch zu lustig zugehe, was der nationalen Trauer nicht entspreche. Der deutsch-evangelische Volksbund übermittelt uns acht Gebote zu der Frage: “Wie verhalte ich mich zu der feindlichen Besatzung“, alleinstehende Frauen ersuchen darum, dafür einzutreten, daß sie keine Einquartierung erhalten usw. usw. Wir möchten auf alle diese Zuschriften bemerken, daß ihre Veröffentlichung uns in den Augen der alliierten Truppen mehr schadet, als das gewiß zu erwartende tadelnswerte Verhalten einzelner Personen gegenüber fremden Offizieren und Mannschaften.
   Wenn wir darauf hinweisen, daß man sich in der französischen Presse bereits über die Ermahnungen in der rheinischen Presse etc. lustig zu machen beginnt, so wird man es begreiflich finden, daß der brave deutsche Michel wieder einmal auf dem falschen Wege ist. Man sagt sich in Frankreich sehr richtig, daß wir Rheinländer doch verflucht wenig deutschnationale Gesinnung haben müßten, wenn erst der behördliche Apparat, konfessionelle Verbände, Presse und Schule in Bewegung gesetzt werden müßten, um dahin zu wirken, daß man sich gegenüber den Besatzungstruppen so verhalte, wie es uns Deutschen nach einem für uns ehrenvollen Kriege zustehe. Man möge daher alle gutgemeinten Warnungen und Ermahnungen in der Feder lassen und darauf vertrauen, daß die weit überwiegende Mehrheit unserer rheinischen Bevölkerung in ihrem nationalen Empfinden und Denken so gefestet ist, daß sie sicherlich unsern Gegnern keinen Anlaß bieten wird, über eine etwa hervortretende nationale Gesinnungslumperei verächtlich die Nase zu rümpfen.

In der gestrigen Sitzung des Arbeiter- und Bürgerrates machte Assessor Dr. Pape bekannt, daß wir wahrscheinlich Engländer als Besatzungstruppen hierher nach Bonn bekommen würden. Bestimmtes liege aber noch nicht vor, auch nicht über die Stärke der Besatzung. Man müsse aber damit rechnen, daß ihre Zahl größer sein wird, als die militärische Belegschaft Bonns in Friedenszeiten. In erster Linie werde die Besatzung in Kasernen, Schulen und öffentlichen Gebäuden, studentischen Verbindungshäusern usw. untergebracht, um möglichst Privatquartiere zu vermeiden. Um den Schulbetrieb wenigstens in beschränktem Maße aufrecht zu erhalten, sollen einige Schulgebäude frei gehalten werden. Die Universität habe Schwierigkeiten gemacht, indem sie sich nur zu Hergabe eines Hörsaales bereit erklärte. Man hoffe aber, daß sie noch weitere Räume zur Verfügung stellen werde. Die erzbischöfliche Behörde habe die beiden Konfikte zur Verfügung gestellt. Im ganzen könne man in diesen öffentlichen Gebäuden 6000 Mann unterbringen. Da die Kasernen so schnell wie möglich instand gesetzt würden, könne man schon in den ersten Tagen annähernd 2500 Mann unterbringen. Für die Mannschaften seien genügend Einrichtungsgegenstände vorhanden. Oberbürgermeister Spiritus hofft ebenfalls, daß die Universität, wenn man sie nochmals auf die dringende Not der Bürgerschaft aufmerksam mache, sich doch noch zur Hergabe weiterer Säle herbeilassen würde. Herr Kuhnert glaubt, daß es nicht die Universität als solche, sondern nur einige Professoren seien, die sich den Wünschen der Stadt verschlössen. Das Gros der Professoren sei seiner Ansicht nach mit dem Vorgehen von Rektor und Stadt nicht einverstanden.
   Es wurde eine Entschließung der Vereinigung der Kriegsbeschädigten verlesen, die u. a. eine Vertretung im Arbeiter- und Bürgerrat, freie Fahrt für Beinamputierte auf der Straßenbahn usw. wünschen. Der Vorstand wurde beauftragt, mit den Herren mündlich zu verhandeln.
   Oberbürgermeister Spiritus verlas einige Schreiben von Kommandeuren, die für die herzliche Aufnahmen danken, die ihnen von Seiten der Stadt und der Bürgerschaft bei ihrem Durchzug zuteil geworden ist. Auch Herr Dr. Krantz dankt im Auftrage des freiwilligen Hilfsausschusses der Bürgerschaft für ihre große Opferwilligkeit, durch die es ermöglicht wurde, den Truppen Zigarren, Zigaretten, Hosenträger, Blumen usw. zu geben. Am meisten hätten gerade die Hosenträger Anklang gefunden. Durch sie sei sogar einmal die Ordnung gestört worden. Eine Militärkapelle habe beim Anblick der Hosenträger mitten im Spiel aufgehört und sei auf die Hostenträger losgestürmt. Daraus lasse sich am besten ersehen, welche Freude man den Soldaten durch diese praktische Geschenke gemacht habe.
   Oberbürgermeister Spiritus dankte namens der Stadtverwaltung sowohl als auch im Namen des Arbeiter- und Bürgerrats dem Kommandeur der 216. Inf.-Div. für das gute Zusammenarbeiten und bat Herrn Hauptmann Strüpp, dem Herrn Kommandeur diesen Dank zu übermitteln. Gleichzeitig dankte der Oberbürgermeister auch Herrn Hauptmann Strüpp für seine verständnisvolle Mitarbeit im Arbeiter- und Bürgerrat. Hauptmann Strüpp dankte verbindlichst für die anerkennenden Worte des Oberbürgermeisters.
   Herr Sarnes regt an, daß die vom Militär zurückgelassenen Bestände an Tuchen und Lederzeug von der Stadtverwaltung erworben und durch Vermittlung der Frauenvereine zu Kleidungsstücken und Schuhen umgearbeitet werden sollen. Dadurch könne man namentlich der Schuhnot der Kinder und auch der Erwachsenen [entgegen] steuern, und ferner noch, wenn das Umarbeiten Kriegerfrauen übertragen würde, diesen Beschäftigung verschaffen. Der Anregung soll sofern noch Tuche und Lederzeug zu haben ist, Folge gegeben werden. Herr Kalt erklärte, daß noch 10 – 12 Schuhmacher beim Bekleidungsamt eingestellt werden könnten. Leder sei noch genügend vorhanden.
   Als Vertreter für die Berliner Versammlung der AS-Räte am 16. ds. wurde Herr Kuhnert gewählt, falls in der morgen in Köln stattfindenden Versammlung Bonn ein Vertreter zugestanden wird. Hauptmann Arimond regte an, man solle die Kinder warnen, die Maueranschläge der Besatzungstruppen abzureißen oder zu beschädigen, da dies der ganzen Bevölkerung Nachteil bringen könne. Es wurde vorgeschlagen, die Kinder durch ihre Lehrer über ihr Verhalten der Besatzung gegenüber aufzuklären. Herr Niedermair wünscht den Beschluß herbeigeführt, daß auch die kleineren Geschäfte um 6 Uhr abends schließen sollen. Es könne dann viel an Licht und Heizung gespart werden. Der Handels- und Gewerbeverein soll sich demnächst mit dieser Angelegenheit beschäftigen.
   Die nächste Sitzung findet am Mittwoch statt.

Am Bonner Postamtsgebäude wurde die Aufschrift „Kaiserliches Postamt“ in „Postamt“ abgeändert.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

   

Der Schulunterricht für die Kinder der Volks- und höheren Schulen kann, wie die Verhältnisse noch liegen, vorläufig noch nicht aufgenommen werden. Es fehlt auch an geeigneten Ersatzräumen. Da der allzu lange andauernde Ausfall des Schulunterrichts von äußerst nachteiligen Folgen für die Jugend sein muß, bringen wir eine Anregung aus unserm Leserkreis zur Kenntnis, die vorschlägt, die Kapitelsäle der Kirchen, evtl. auch die Kirchen selbst stundenweise, vielleicht nur nachmittags, für Schulzwecke freizugeben.

Die feindliche Besatzung ist in wenigen Stunden in unserer Stadt. Noch einmal mahnen wir zu würdevollem Verhalten den Gegnern gegenüber. Vermeidet alles, was ihnen Anlaß zu Spott, zu Genugtuung und Freude über unsere jetzige Lage dienen kann. Seid stolz auch in dieser Zeit der Demütigung! Was das deutsche Volk in mehr als vier harten Kriegsjahren geleistet hat, gibt ihm das Recht, stolz zu sein. Wir sind nicht Besiegte und brauchen nicht um die Gunst unserer Feinde zu betteln. Mit gemessener Höflichkeit kommen wir ihnen entgegen, nicht mit der kriecherischen Gebärde des Besiegten.
   Eltern, haltet eure Kinder von der Straße fern, wenn der Feind einzieht! Steht auch nicht gaffend an den Fenstern. Zeigt, daß ihr deutsche Würde, deutschen Stolz besitzt!

Die Flaggen herein! Man schreibt uns: Meine Mitbürger möchte ich daran erinnern, die Fahnen (und natürlich auch den sonstigen Schmuck an Grün usw.) rechtzeitig hereinzunehmen und nicht, wie man das oft beobachten kann, sie noch tagelang nach der Veranlassung zum Flaggen hängen zu lassen. Wir ließen sie doch wehen, um unsere tapferen, unbesiegten Truppen herzlich zu bewillkommnen. Ist aber der letzte Mann über den Rhein, dann sofort herunter mit ihnen, damit sie nicht etwa auch der feindlichen Besatzung den Willkomm entbieten! A. F. v. S.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)