Montag, 2. Dezember 1918

   

Eine sozialdemokratische Frauenversammlung, die stark besucht war, fand Sonntag abend im Bonner Bürgerverein statt. [...] Frau Röhl aus Köln sagte in ihrem Vortrag über „Menschenrechte der Frau“, die gegenwärtige Umwälzung wäre zur Anarchie geworden, wenn nicht die Sozialdemokratische Partei die Führung übernommen hätte. Nachdem das Bürgertum sich erholt habe, übe es Kritik an Dingen, die die Sozialdemokratie nicht verschuldet habe. Auch die Sozialdemokratie habe den Umsturz in dieser Form nicht erwartet. Das deutsche Volk stehe jetzt vor sehr schwierigen Aufgaben, aber die Arbeiterschaft werde ihrer Herr werden. Damit das deutsche Volk innerlich erstarke, müsse die Nationalversammlung so schnell wie möglich einberufen werden. Die Rednerin besprach dann die Einzelheiten des Wahlrechts zur Nationalversammlung und belehrte die anwesenden Frauen über die Wichtigkeit der politischen Frauenarbeit. Die sich an den Vortrag anschließende Aussprache mußte der Polizeistunde wegen schließlich abgebrochen werden.

Unglaublicher Unfug ist gestern nachmittag am Rheinwerft betrieben worden. Es war dort eine größere Menge Gewehre und Munition abgeladen worden. Schulpflichtige und ältere Jungen haben wie uns Augenzeugen berichten, Gewehre geladen und über den Rhein hinweg abgeschossen, auch einen Kahn durch Schüsse leck gemacht. Einige Jungen sollen auch Gewehre weggeschleppt haben. Das hat sich zwischen 2 und 3 Uhr zugetragen. Um ½ 4 war dann zu sehen, wie Gewehre von kleinen und kleinsten Kindern auf ein Grundstück an der Theaterstraße gebracht wurden, wobei, da die Knirpse die Waffen nicht tragen konnten, die ungeschützte Mündung über das Pflaster geschleift wurde.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

Wie wollen wir uns beim Einzug der fremden Besatzung verhalten?
Der dunkelste Tag der Geschichte unserer Vaterstadt rückt näher: in wenigen Tagen wird die fremde Besatzung ihren Einzug halten. Wie wollen wir uns bei diesem Einzug verhalten? Wollen wir gaffend an Weg und Fenster stehen, damit die Einziehenden sich an unserer Demütigung weiden und ihr Triumph desto größer ist? Schmach über jeden Bonner Bürger, der an diesem Unglückstage nicht mit Frau und Kindern innerhalb seiner vier Wände bleibt und bei unvermeidlichem Ausgang nicht unbeirrt seines Weges geht, ohne rechts und links zu schauen! Schmach über jedes Mädchen, das bei späteren Aufzügen und ähnlichen Veranstaltungen seiner Neugierde nicht zu gebieten und seine Würde gegenüber der Besatzung gegenüber nicht zu wahren weiß! Höflich, aber durchaus kühl und zurückhaltend sei unser Wesen. Eine große Verantwortung ruht gegenwärtig auf uns Rheinländern; die Augen des ganzen Reiches schauen auf unsere Haltung. Bedenkt das, ihr Bonner und Bonnerinnen. M. B. F.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Eingesandt“)

     

Die Stadtverordneten werden morgen zum ersten Mal nach dem Umsturz wieder zusammentreten. Inwieweit der Arbeiter- und Bürgerrat auch weiterhin tätig ist, erscheint unsicher. In Saarbrücken und Aachen, wo die feindliche Besatzung bereits eingerückt ist, hat diese als Vertreter der Lokalverwaltung nur den Oberbürgermeister anerkennt. Man muß vermuten, daß auch in Bonn dies der Fall sein wird, sodaß Oberbürgermeister Spiritus in Gemeinschaft mit der Stadtverordnetenversammlung, wenigstens für die Dauer der Besetzung der linksrheinischen Gebiete, alle kommunalen Fragen zu regeln hat.
  
Sollte der Arbeiter- und Bürgerrat jedoch weiter bestehen bleiben, so müßte ein klares Verhältnis über die Frage geschaffen werden, wer für die Bewilligung der Gelder aus dem Stadtsäckel die Verantwortung trägt. Unsere Stadt Bonn, deren Haushalt bis zur Revolution in überaus sorgsamer Weise geleitet wurde, hat infolge der Kriegseinwirkung derartige hohe Finanzlasten auf sich nehmen müssen, daß eine klare zielsichere Leitung unseres Finanzwesens im Interesse aller Schichten unserer Bürgerschaft jetzt mehr denn je ein zwingendes Gebot ist.

Zeitweilige Sperrung des Bahn- und Postverkehrs? Wie wir erfahren, ist es nicht ausgeschlossen, daß in den ersten Tagen der Besetzung des linksrheinischen Gebietes der Bahn- und Postverkehr gesperrt bleibt. Es empfiehlt sich jedenfalls für die Bewohner des linksrheinischen Gebietes, notwendige Geschäftsangelegenheiten und wichtige private Dinge schleunigst zu erledigen.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

   

Die Zentrumspartei hielt gestern im Bürgerverein unter dem Vorsitz des Herrn Kaplan Rembold eine gutbesuchte öffentliche Vollversammlung ab, in der Lehrer Schultheiß und Arbeitersekretär Klüber zum Thema „Was uns nottut“ sprachen. In beiden Reden sowohl als auch in der lebhaft geführten Diskussion, kam der von allen bürgerlichen Parteien und den Mehrheitssozialisten einstimmig und immer dringlicher betonte Wunsch nach schleunigster Einberufung der Nationalversammlung zum Ausdruck. Die Mißwirtschaft der jetzigen Berliner Regierung wurde an den Pranger gestellt und unter lautem Beifall der ganzen Versammlung hervorgehoben, daß das Volk es ablehne, von Berlin Maßregeln sich vorschreiben zu lassen, die dem Volksempfinden Hohn sprechen. Wenn nicht bald Aenderung dieser unerträglichen Dinge eintrete – so betonte der Vorsitzende - sagen auch wir: „Los von Berlin!“ Das solle aber nicht heißen: „Los von Deutschland!“; denn das Zentrum sei stets eine deutsche Partei gewesen und werde (nach den Worten des Arbeitersekretärs Klüber) auch fernerhin nur deutsch sein oder nicht sein. Lehrer Schultheiß hob aus den beiden vorliegenden Entwürfen zu einem neuen Zentrumsprogramm einige Punkte hervor, um über die neuen großen Aufgaben der Zukunft zu sprechen: Das Frauenwahlrecht, das demokratische Wahlrecht für die Kommunen, die Schulfrage, die Frage der Trennung von Staat und Kirche, Fragen der Bodenpolitik und der Steuerpolitik. Alle Redner der Versammlung wiesen auf die Tatsache hin, daß in fast allen diesen Fragen, insbesondere aber in der Außenpolitik (Völkerbund und Kolonialbesitz) das Zentrum mit sämtlichen bürgerlichen Parteien, selbst mit den Mehrheitssozialisten ein gut Stück Weg Hand in Hand gehen könne. Es komme heute nur auf eines an, nämlich dem Terror und der Diktatur der Spartakus-Leute eine geeinte Front aller Ordnungs-Elemente entgegenzustellen. [...]
  
Stadtverordneter Schmitz teilte mit, daß die feindliche Besatzung aus 50 Divisionen bestehen und Bonn 9- bis 10.000 Mann erhalten werde, die teils in den Kasernen teils in städtischen öffentlichen Gebäuden untergebracht würden. Ein kleiner Teil der Besatzung müsse vielleicht Bürgerquartier beziehen. Redner mahnte zu ruhiger Besonnenheit, zu würdevollem, deutschen Verhalten den fremden Truppen gegenüber. [...]

Truppendurchzug. Auch gestern zogen wieder stärkere Teile der 18. Armee durch Bonn über die Rheinbrücke und bei Mondorf und Mehlem über die Notbrücken nach der rechten Rheinseite. Der Rest der Truppen muß nunmehr heute und morgen ihren Abzug vollenden, da am Mittwoch morgen um sechs Uhr das linke Rheinufer geräumt sein muß. Wie an den ersten Tagen wurden auch gestern die wackeren Krieger allseitig von der Bürgerschaft auf das herzlichste begrüßt und mit Liebesgaben beschenkt.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)

Ist das der Dank? In der Samstag-Ausgabe der D.-R.-Z. will ein Feldgrauer und mehr als energisch unsern Platz hinterm Kochtopf anweisen. Er ist erregt, daß die Behörden und Firmen die Frauen, die als Kriegs-Aushilfe bei ihnen tätig waren, noch nicht alle entlassen haben. Ist das der Dank für unsere Arbeit? Weiß der Feldgraue, wie viel Opfer, wie viel Selbstlosigkeit, wie viel Fleiß und Ueberwindung es uns Frauen gekostet hat, in den Beruf der Männer einzutreten? Weiß der Feldgraue, daß es viele Kriegswitwen gibt, die gezwungen sind, an Stelle des Mannes jetzt mit eigener Hände Arbeit Brot für sich und die Kinder zu verdienen? Man kann nicht Frauen, die auf sich selbst angewiesen sind, einfach vor die Türe setzen. Außerdem sind die Männer noch längst nicht alle zurückgekehrt. Der Uebergang aus dem Erwerbs- und Wirtschaftsleben der Kriegszeit in die geordneten Verhältnisse des Friedens kann sich nicht im Handumdrehen vollziehen. Wir räumen, so weit das möglich ist, den Männern gerne den Platz an ihrer alten Arbeitsstätte. Aber es muß uns verletzen, wenn man uns nach getaner Pflichterfüllung im Tone des Feldgrauen die Türe weist. Eine Kriegerfrau im Namen vieler.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Stimmen aus dem Leserkreis“)