Montag, 23. April 1917

     

Anzeige im General-Anzeiger vom 23. April 1917Etwa 40 Vertreter der Bonner Arbeiterschaft waren auf Samstag abend vom Oberbürgermeister zu einer Besprechung über die Lebensmittelversorgung in den Rathaussaal geladen. Oberbürgermeister Spiritus begrüßte sie herzlich. Die Stadtverwaltung wolle alles irgendwie Mögliche tun, um die schwierige Lebensmittelfrage zu einem glücklichen Ende zu führen. Die Besprechung möge aufklären und vor allem Vertrauen zur städtischen Verwaltung schaffen, und die Arbeitervertreter möchten dann in den Kreisen, der Vertrauen sie genießen, weiter um Vertrauen zur Stadtverwaltung werben. Beigeordneter Piehl schilderte dann den gegenwärtigen Stand der Lebensmittelversorgung im allgemeinen, vor allem die zwingende Notwendigkeit, den Brotverbrauch einzuschränken. Er ging auf die Ursachen dieser notwendigen Einschränkung näher ein und besprach die Maßnahmen, die den Brotmangel weniger fühlbar machen sollen: die Ausgabe des billigen Fleisches und die Verbesserung der Kartoffelversorgung. Er besprach ferner die besonderen Bonner Verhältnisse, betonte, die Kartoffelausgabe in der jetzigen Menge sei für die nächsten acht Wochen unbedingt gesichert, hielt aber eine Verschlechterung der Fettversorgung als Folge der erhöhten Fleischversorgung leider für möglich und erwähnte namentlich die Fürsorge der Stadtverwaltung für die Kriegsküchen. An diese Ausführungen schloß sich eine etwa zweistündige Aussprache, in der die Arbeitervertreter der verschiedensten Betriebe und Parteirichtungen ausgiebig zu Worte kamen. […]

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

     

Lebensmittelversorgung und Arbeitervertreter. […] In der Aussprache der anwesenden Arbeitervertreter wurde einmütig der Wille zum Durchhalten zum Ausdruck gebracht. Es wurde bereitwillig anerkannt, daß die Stadtverwaltung alles tue, um den Ansprüchen der Bevölkerung gerecht zu werden. Gleichzeitig wurde aber auch der Wunsch ausgesprochen, daß die Stadtverwaltung in möglichst eingehender Weise auf die höheren Stellen einwirken möge, damit die wirklich vorhandenen zahlreichen Mängel abgestellt werden. Besonderes Interesse, so führten fast alle Redner aus, sei der Ernährung der Rüstungs- und Schwerarbeiter zu widmen, die gerade jetzt ihre ganzen Kräfte in den Dienst des Vaterlandes stellen müssen. Hierbei kamen aber auch eine Reihe von Mängeln zur Sprache, die sich hinsichtlich der Verteilung der Hindenburgspende ergeben haben. Die Verteilung geschieht nach Ansicht der Arbeitervertreter oft höchst eigenartig. Ein Werk hat z. B. angeordnet, daß bei Ueberweisungen von Lebensmitteln aus der Hindenburgspende die Arbeiter die Waren bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abholen müssen. Anderenfalls gehen ihre Ansprüche verloren. Ein solches Verfahren ist, wie Beigeordneter Piehl bemerkte, entschieden zu verurteilen. Die Waren werden nicht dem Werk, sondern den Arbeitern zur Verfügung gestellt. Auch wurde von verschiedenen Seiten über mangelnde Kontrolle geklagt. Zum Teil gelangen die Arbeiter nicht voll in den Besitz der ihnen zustehenden Menge. Der Herr Oberbürgermeister sagte Prüfung aller Beschwerden und schleunige Abstellung der Mißstände zu.
   Ein Vertreter der Bauarbeiter stellte die Anfrage, ob die Bauarbeiter als Schwer- oder Schwerstarbeiter zu gelten haben. Beigeordneter Piehl erwiderte, daß diejenigen Bauarbeiter, die in der Rüstungsindustrie beschäftigt sind, als Schwerstarbeiter gelten, während die übrigen die Schwerarbeiterzulagen erhalten. Lebhafte Klagen wurden über die Ernährung der Kriegsgefangenen geführt. Nach Feststellungen einiger Arbeitervertreter ist in einem Falle auf Betreiben des wachthabenden Unteroffiziers den Gefangenen mehr zugebilligt worden als den übrigen Arbeitern. Sind die Gefangenen überhaupt als Schwerstarbeiter zu betrachten?
   Beigeordneter Piehl betonte, daß hierüber der Gewerbeinspektor zu entscheiden habe, nach welchem sich die Verwaltung bezüglich der Zuweisung der Lebensmittel richten müsse. Nach einigen weiteren kleinen Anfragen, die in zufriedenstellender Weise von der Verwaltung beantwortet wurden, schloß Oberbürgermeister Spiritus die Sitzung mit dem Wunsche und der Hoffnung, daß alle durchhalten und bestrebt sind, Mißverständnisse und Irrtümer aufzuklären. Jedenfalls dürfe die Bevölkerung davon überzeugt sein, daß die Stadtverwaltung alles tue, was in ihren Kräften steht, um die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

     

Arbeiterschaft und Lebensmittelversorgung in Bonn. Von jeher haben wir die Auffassung vertreten und betont, daß in der Lebensmittelversorgung eine weitgehende Belehrung der Bevölkerung vielen unberechtigten Klagen den Boden entzieht und den berechtigten Klagen den Weg zur Besserung ebnet. Wir können daher auch nur Anerkennung dafür haben, daß unsere städtische Verwaltung insbesondere der Teil, welcher die Lebensmittelversorgung zu bearbeiten hat, diese Ansicht teilt und in richtiger Erkenntnis der großen Bedeutung einer Aufklärung auf Samstagabend die Vertreter der Arbeiterschaft zu einer Aussprache über die Lebensmittelversorgung in den Sitzungssaal des Rathauses eingeladen hatte. Daß sie damit einem Bedürfnis nachgekommen war, bewies auch der zahlreiche Besuch […]
   Oberbürgermeister Spiritus betonte in einem Schlußwort, daß man stets bei Anlaß zu Klagen vertrauensvoll sich an das Lebensmittelamt wenden möge, entweder schriftlich, oder dann mit Namensangabe, oder durch persönliches Vorsprechen. Man dürfe überzeugt sein, daß allen berechtigten Klagen Gehör geschenkt werde. Ueber allen Fragen müsse uns heute das Vaterland stehen. Daß unsere vaterländische Sache nicht unterliege, sei heute die Pflicht eines jeden deutschen Mannes, jeder müsse dazu beitragen, daß der Krieg zu einem guten Ende geführt werde. Die Aussprache hat, dessen sind wir gewiß, alle Beteiligten sehr befriedigt und dürfte gewiß ihre guten Wirkungen nicht verfehlen.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)